Kausalität im Süden - Niklas Luhmann
(1) Die Beibehaltung des alten Begriffs des "Mechanischen"
ist eher verwirrend und hat zu zahllosen Mißverständnissen geführt
- nicht zuletzt zu der ganz unsinnigen Entgegensetzung von Kausalität
und Freiheit bei Kant. Die Funktion des Begriffes war es gewesen,
innerhalb des Aristotelischen Schemas eine der Ursachen im Unterschied
zu den anderen zu bezeichnen. Wenn der Begriff diese Funktion verliert,
wird ihm freigestellt, andere Gegenbegriffe zu suchen, etwa in der
Form mechanisch/organisch oder Kausalität/Freiheit. Aber warum soll
man ihn überhaupt beibehalten, wenn man sich damit solche Verlegenheiten
einhandelt? Im übrigen hat der Begriff des Mechanischen bei der
Umformung des Kausalkonzepts im 17. Jahrhundert ein wichtiges Merkmal
verloren, das heute wieder wichtig werden könnte, nämlich das Merkmal
der listigen, trickreichen Einfädelung eigener Ziele und Mittel
(mechané, machinatio) in einen kosmologisch vorgegebenen Ablauf.
Mechanik war in diesem Sinne religiös suspekt gewesen, während sie
heute nur noch geisteswissenschaftlich suspekt ist.
(2) So jedenfalls erscheint es Forschern aus
den Zentren der "westlichen" Zivilisation. Siehe nur Ingersoll/Adams
1986, S. 360-381. Für viele Weltgegenden, unter anderem für
den Süden Italiens, wird man diese Annahme einschränken müssen.
Sie wirkt hier allenfalls als Rhetorik und als Kontrastfolie für
eine anders wahrgenommene Realität.
(3) Du contrat social; ou, Principes du droit
politique II.XI., zit. nach Rouseau
1964, S. 391.
(4) Vgl. Heider
1944; Michotte 1954.
Die anschließende Forschung ist nur noch für Spezialisten zu überblicken,
und das scheint verhindert zu haben, daß man weitreichenden Konsequenzen
für eine Theorie des Beobachtens und für den erkenntnistheoretischen
Konstruktivismus nachgegangen ist.
(5) Auf die komplizierten mathematischen und
logischen Voraussetzungen einer solchen Theorie des Beobachtens
zweiter Ordnung kann hier nur mit Literaturangaben hingewiesen werden.
Siehe vor allem von Foerster
1981; ferner etwa Esposito
1992.
(6) Diese Unterscheidung stammt ursprünglich
aus der Wahrnehmungstheorie von Fritz Heider
(1926). Für Zwecke der Wahrnehmungspsychologie reicht es, statt
von Formen von Dingen zu sprechen. Wir bevorzugen den allgemeineren
Begriff der Form, der deutlich macht, daß es um Unterscheidungen
geht. Siehe dazu Luhmann 1990,
S. 53 ff., 181 ff.; Luhmann/De
Giorgi 1992, S. 61 ff..
(7) Auch Crozier/Friedberg
(1977) betonen, daß Kultur immer auch zur Wiederherstellung
von Freiheit, von Ungewißheit und damit von Macht benutzt wird,
und sehen darin eine Bedingung der Fortsetzung des "Spiels".
(8) Friedrich Nietzsche,
Menschliches, Allzumenschliches I, 56.
(9) Ich beziehe mich auf Diskussionen vor Ort
in den 50er Jahren, als in Deutschland ähnliche Planungen (Sennestadt,
Espelkamp) unternommen wurden.
(10) Zum Thema Freiheitsgewinn durch kognitive
Ausrüstung für abweichendes Verhalten siehe auch die Fallstudie
aus einer britischen Schule von Willis
(1979).
(11) Was hat es in diesem Zusammenhang zu bedeuten,
daß Jugendliche, die bei rassistischen Straftaten erwischt werden,
als Motiv "Ausländerfeindlichkeit" nennen, also eine in
der Tendenz deutlich ich-bezogene geradezu "stolze" Antwort
geben?
(12) Unter welchen Einschränkungen immer, was
die Subjektivität der Präferenzen, die Erwartungsunsicherheit, die
Informationskosten usw. betrifft.
(13) In einen "unmarked space" im
Sinne des Formenkalküls von George Spencer
Brown (1969).
(14) "Helden" werden sowohl in älteren
Gesellschaften, aber auch unter modernen Bedingungen in der Politik
und in der Welt der Großorganisationen am Tabubruch erkennbar. De
Gaulle beendet als General den nicht zu gewinnenden Algerienkrieg.
Ebenso Genies in Kunst und Wissenschaft, die das vorher Unakzeptable
wagen.
(15) In der Planungstheorie ist dies eine wichtige
Bedingung von "near-decomposability", also eine Bedingung
für die unschädliche Isolierbarkeit von Einzelprojekten.
(16) Es wäre lohnend, der Hypothese nachzugehen,
daß England, eben weil hier der Prozeß der Modernisierung sehr früh
eingesetzt hatte, einen besonderen Sinn für Tradition (zum Beispiel
in der Interpretation des common law), einen Sinn für die eigenen
Institutionen (für "constitution" im ursprünglichen Sinne
des englischen Sprachgebrauchs), für das Establishment einer tonangebenden
Schicht usw. bewahren konnte - bis das vergleichsweise Zurückbleiben
Großbritaniens in der weltweiten Entwicklung Margret Thatcher die
Chance gab, all dies politisch in Frage zu stellen.
(17) Zu dieser Tendenz unter allgemeineren,
überregionalen Gesichtspunkten (die man für Deutschland vielleicht
modifizieren, zumindest zeitlich strecken müßte) Lutz
1994. Vgl. auch ders. 1984;
1986.
(18) Daß die Rhetorik der Kultur sich aus genuinen
Interessen und einem reichen Repertoire an Fähigkeiten speist, soll
natürlich nicht übersehen und nicht unterschätzt werden. Hier müßte
der Empiriker nach dem Enttäuschungsquotienten fragen.
(19) Für die Gerichte wird man eine Ausnahme
konzedieren müssen; denn das System der Gunsterweise würde ja seine
Schwierigkeit und damit seine Existenzberechtigung verlieren, wenn
auch die Gerichte durch Direktkontakt einbezogen werden könnten.
Deshalb sind Staatsanwälte und Richter auch die Ansatzpunkte für
eine Relegalisierung des Systems.
(20) Im Gegenteil: es kommt nicht selten vor,
daß Ärzte, Anwälte, Architekten usw., unentgeltlich handeln, wenn
von Bekannten für Bekannte interveniert worden ist, obwohl Unentgeltlichkeit
gar nicht verlangt war, sondern wiederum nur symbolisch als Indikator
für Großzügigkeit, Ansprechbarkeit, Freundschaftsdienste usw. in
das Netzwerk eingespeist wird.
(21) Dazu Heinz von Foerster in zahlreichen
Publikationen. Siehe von
Foerster 1993a, und zuletzt: von
Foerster 1993b.
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