Editorial 4 (1998) H.2
Niklas Luhmann ist am 6. November 1998, einen Monat
vor Vollendung seines einundsiebzigsten Lebensjahres, gestorben.
Ohne Niklas Luhmann würde es die Zeitschrift Soziale Systeme
nicht geben. Natürlich existierten und existieren Varianten von
Systemtheorie und soziologischer Systemtheorie auch vor und neben
dem Unterfangen, das Luhmann vorantrieb. Aber letztlich war es Luhmanns
radikale und in immer neuen Schritten vollzogene Transformation
des Parsonianischen Strukturfunktionalismus, die diese Theorierichtung
vor dem Schicksal bewahrt hat, heute der Geschichte der Soziologie
anzugehören. Statt dessen ist soziologische Systemtheorie neben
Netzwerktheorie, Rational Choice und den Spielarten des symbolischen
Interaktionismus eine der wenigen universalistischen und als solche
konkurrenzfähigen Theorierichtungen der Weltsoziologie, und sie
ist neben den vielfältigen Varianten des Poststrukturalismus eine
der wenigen Reflexionstheorien der Moderne.
Dies ist das Erbe, für das neben vielen
anderen auch die Sozialen Systeme zuständig
sein werden. Die Sozialen Systeme werden mit Sicherheit keine
historische Zeitschrift werden. Sie werden der Aktualität der Systemtheorie
in der jeweiligen Erkenntnissituation verpflichtet sein. Und das
sollte zweierlei bedeuten: Einerseits eine Offenheit für Variationen,
erneute Transformationen der Systemtheorie und auch für das Konzedieren
von kognitiven Limitationen der Systemtheorie. Andererseits kann
diese Lernbereitschaft nicht bedeuten, daß man sich in einen Eklektizismus
fügt, der nur deshalb eilig verschiedene Theorien zusammenbaut,
weil er das, was an Erkenntnismöglichkeiten in der Systemtheorie
vorliegt, nie wirklich durchgearbeitet hat. Wir haben Niklas Luhmann
für die lebenslange Arbeit an einer Theorie zu danken, die auch
darin Theorie der Weltgesellschaft ist, daß sie sich immer als eine
welteröffnende und nicht etwa den Welthorizont abschließende Theorie
erwiesen hat.
Die Herausgeber
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