Zusammenfassungen
Alexander
Roesler/Bernd Stiegler
»Die Endform der Vorläufigkeit«
Ansichten aus der Praxis der Theorie
Dieser Beitrag ist weniger eine systematische Analyse
oder Reflexion
über die Veränderungen des wissenschaftlichen
Publizierens als vielmehr eine Art ABC der publizistischen
Praxis der Theorie. In insgesamt 12 kurzen Texten,
die zudem eine interne Verweisungsstruktur haben,
ist jeweils eine Beobachtung Niklas Luhmanns Anlass,
um einen bestimmten Bereich des Publizierens in den
Blick zu nehmen. Der Bogen, den dieses kleine Lexikon
spannt, reicht dabei von »Absagen/Zusagen
« über »Herstellung« bis hin
zu »Programm« und »Sekundärliteratur«.
This article is not so much a detailed and systematic
description or analysis of the changes taking place
in academic publishing but rather a short encyclopaedia
of its everyday practice. This dictionary consists
of 12 – interrelated – entries, each
of which begins by quoting a statement by Niklas
Luhmann in order to focus on a specific aspect in
the field of publishing, such as »turning down/accepting
manuscripts«, »production«, »publishing
strategies«
or »secondary literature«.
Wulf D. v. Lucius
Strukturwandel im wissenschaftlichen Verlag
Der Beitrag schildert die tiefgreifenden Veränderungen,
denen wissenschaftliche Verlage (in Deutschland)
in den letzten Jahrzehnten unterworfen waren: technische
(bis hin zum digitalen Publizieren), wettbewerbliche
(insbesondere durch die stetig voranschreitende Konzentration),
vom Markt her kommende wie insbesondere das Vordringen
der englischen Sprache und die daraus erfolgende
Internationalisierung. Parallel einher geht das schrittweise
Verschwinden des Inhaber-Verlegers zugunsten managergeführter
Verlage. Letztere werden oft professioneller geführt
aufgrund der Teamarbeit von Spezialisten anstelle
eines Generalisten, der der traditionelle Verleger
gewesen ist. Einher mit dieser Verschiebung auf der
Führungsebene geht ein kurzatmigeres, konsequent
gewinnorientiertes Verhalten dieser Verlage, während
der Inhaber-Verleger in viel längeren Zeitdimensionen
denkt und handelt und es in seiner eigenen Verantwortung
liegt, wie stark er meta-ökonomische Zielsetzungen
zulässt.
The paper describes the far-reaching changes with
which scientific publishers (in Germany) have been
confronted in the last decades. These changes have
been driven partly by technical innovations (including
the advent of digital publishing), partly by the
markets (e.g. the steady concentration tendency)
and partly by internationalisation with the predominance
of the English language. Parallel with these developments
the classical owner-publisher is gradually disappearing;
managing teams of specialists with high professional
skills are responsible for the companies and are
replacing the traditional »accomplished generalist«
(Gordon Graham). Thus the decisions in modern publishing
houses are made under a much shorter time horizon
and are more strongly profit-oriented whereas the
owner publisher was used to think in longer times-frames
and was free to decide on his own how to evaluate
meta-economic targets.
Stefan Hirschauer
Publizierte Fachurteile. Lektüre und Bewertungspraxis
im Peer Review
Der Aufsatz untersucht einen Ausschnitt der informellen
fachlichen Kommunikation unterhalb der Publikationsschwelle.
Er fragt, welche Sozialität in einem Fachurteil
steckt. Zwei Komplexe lassen sich identifizieren.
1. In einem Urteil
überschneiden sich drei soziale Kreise: Neben
der Bindung an ihre intellektuellen Herkunftsmilieus,
die Lesern eine gewisse Voreinstellung gegenüber
allen Texten gibt, findet sich zum einen ein in der
lesenden Auseinandersetzung mit dem Text entwickelter
Eindruck von diesem, zum anderen eine posthoc gesprochene,
rationalisierende Stellungnahme gegenüber einer
Gremienöffentlichkeit. 2. Diese mehrstufigen
Urteile über wissenschaftliche Güte werden
im Peer Review nun vervielfältigt, so dass sie
sich in ihrer eigenen Güte laufend selbst beobachten.
Manuskripte werden entschieden, indem über die
Urteile aller Beteiligten entschieden wird: das des
Autors
über Geltungsanspruch und Entwicklungsstand
seines Textes; das von Gutachtern und Herausgebern über
die Kompetenz ihres eigenen Urteils, und das über
die Beurteilungspositionen der jeweils anderen Gutachter
und Mitherausgeber. Der ›Review‹ liegt
nicht primär in einer asymmetrischen Prüfungsbeziehung,
in der ein Leser auf einen Text ›schaut‹,
sondern in einer wechselseitigen Beobachtungen von
Urteilen, die in Ergänzung und Konkurrenz zueinander
treten und sich wechselseitig kontrollieren. Im Peer
Review werden Urteile beurteilt und publik gemacht.
The article investigates an aspect of informal communication
in journal peer review. It asks which social relations
build up experts' judgements. There are two issues:
1. In a scientific judgement there is an intersection
of three social circles: a) the reader holds an attitude
towards all kinds of texts depending on his/her membership
in an intellectual milieu; b) there is an impression
gained in the reading process, i.e. through a virtual »interaction
with the author«; c) the reader gives a rationalizing
statement on a manuscript adressing the peers of
a committee. 2. These judgements on scientific quality
are multiplied in peer review so that they control
themselves in their own quality. A manuscript's publication
is decided by deciding about the quality of these
judgements. So the »review« of a peer
review does not consist of an asymmetric »examination« of
a text, but in the mutual observation of expert judgements,
complementing and controlling, supervising and competing
with each other. In peer review judgements are judged
and made public.
Elmar J. Koenen
Über die fast leere Mitte der Disziplin. SoziologInnen über
Funktionen und Eigenwerte sozialwissenschaftlicher
Zeitschriften
In den letzten Jahren haben SoziologInnen aus Lehre
und Forschung sich aus unterschiedlichen Anlässen
und Perspektiven zum Thema ›Sozialwissenschaftliche
Fachzeitschriften‹ geäußert.Wie
selbstverständlich behandeln sie diese als das
kommunikative Zentrum ihrer Disziplin, obwohl eine
entsprechende Kommunikation praktisch kaum stattfindet:
die ›großen Namen‹ der Disziplin
treten in den Zeitschriften als AutorInnen eher selten
an, und Makrothemen wie Gender und Globalisierung
fehlt heute offenbar die Kraft, die Fachkommunikation
zu integrieren. Den InhaberInnen von festen Stellen
mangelt es an Motiven, ihre Kompetenz zu demonstrieren
und den LeserInnen an Zeit und Interesse, sich mit
Fragen jenseits der eigenen Themen zu befassen. In
der Konkurrenz mit den Netzmedien und durch die generelle
Knappheit an finanziellen Mitteln scheint das kommunikative
Zentrum der Sozialwissenschaften, ihre Fachzeitschriften,
zunehmend unter Druck zu geraten. Ihre traditionelle
Funktion, die Qualität von Kompetenzen und Texten
zu prüfen und zu sichern, müsste vielleicht
von anderen Medien und Institutionen übernommen
werden.
Recently sociologists have commented on the topic »sociological
journals« for various reasons and from various
points of view.They treat these journals as the communicative
centre of their discipline, although actually there
is very little communication here: the wellknown
names in the field do not show up as authors in these
periodicals and issues such as gender studies and
globalisation seem to be unable to initiate communication
within the discipline. Those who have got tenure
are not motivated to demonstrate their competence
and the readers lack time and motivation to deal
with topics beyond their own fields.With financial
means generally being short and with the competition
of the net media, the communicative centre of the
discipline – their journals – seems to
suffer increasingly. Their traditional function:
to scrutinise and secure the quality of competences
and texts may have to be performed by other media
and institutions.
Jo Reichertz
»Die Zeiten sind vorbei, in denen man nicht
mehr laut sagen durfte, dass man besser ist als andere« – oder:
Zur neuen Logik der (sozial-)wissenschaftlichen Mediennutzung
Wer heute Wissenschaft betreibt, muss seine Arbeit
immer häufiger und immer öfter mit Hilfe
der Medien vorstellen. Die Öffentlichkeit, mit
der er dann kommuniziert, ist nicht mehr nur eine
Fachöffentlichkeit, sondern immer öfter
muss er auch den Erwartungen der Politik, der Medien
und der Steuerzahler entsprechen. In Zeiten knapp
bemessener Geldmittel werden öffentliche Präsenz
und öffentliche Anerkennung bedeutender, da
sie dem Aufbau von Reputation dienlich sein können.
Deshalb kommt es nicht nur darauf an, viel in die
Medien zu bringen, sondern dies auch verständlich
und attraktiv zu tun. Honoriert werden dabei auch
Persönlichkeit und Ausstrahlung. Der Artikel
fragt auch nach den Folgen, die dieser Wandel für
das berufliche Tun von Wissenschaftlern mit sich
bringt.
Nowadays, scientists must present their work more
often, and must do so more frequently with the help
of the media. Not only do they have to communicate
with experts in their field, they are also under
increasing pressure to comply with the expectations
of politicians, the media and the taxpayer. In times
of financial hardship, a significant presence in
public life and the public’s recognition become
more vital, since both can be helpful in building
a good reputation. It is therefore not only the volume
of works published that is important, but also the
attractiveness and comprehensibility of the works.
Having achieved this, the scientist’s personality
and charisma can be held in higher public regard.
The following article also casts into question the
consequences, which come hand in hand with these
changes, on the profession of scientists.
Wolff-Michael Roth
Publish or Stay Behind and Perhaps Perish: Stability
of Publication Practices in (Some) Social Sciences
Obwohl neue technische Entwicklungen das schnelle
und hinsichtlich der Länge problemlose Veröffentlichen
ermöglichen, werden elektronische Medien in
manchen Wissenschaften nur langsam – wenn überhaupt – akzeptiert
und benutzt. Auf der Grundlage eines kulturhistorischen
Ansatzes der dritten Generation argumentiere ich,
dass sich die Stabilität von Veröffentlichungspraktiken
(in Nordamerika) aus der Rolle der Publikationen
in der akademischen Laufbahn ergibt. Entscheidungen
in so unterschiedlichen Zusammenhängen wie Dauereinstellung,
Beförderung, Gehalt, Gehaltserhöhung, und
Drittmittelerwerb hängen von der Veröffentlichungsliste
ab, die als eine Form der Objektivierung der Leistung
eines Individuums verstanden wird. Die Stabilität
der Veröffentlichungspraktiken kann man daher
als das Produkt von der hoch vernetzten Natur akademischer
Praktiken und Tätigkeitssystemen und der dialektischen
Natur der Wissenschaftsgemeinden (communities of
practice) verstehen, die sich sowohl identisch reproduzieren
(Stasis), als auch in neuen Formen produzieren. Dieses
Phänomen kann man zum Teil verstehen als das
Bedürfnis eines Akademikers (einer Akademikerin),
zur Erhaltung der Wissensgemeinde durch Dienste beizutragen,
die den Entscheidungen über Dauereinstellung,
Beförderung, und Gehalt Rechnung tragen.
Although recent technological advances (e.g., electronic
media) have made it possible to publish research
rapidly and without concerns for limited page limitations,
some disciplines are slow to adopt electronic publications
if they adopt them at all. Taking the perspective
of third-generation cultural-historical activity
theory, I argue that the stability of publication
practices arises from the role scholarship plays
(in North America) in defining academic career trajectories.
Decisions in areas as diverse as tenure and promotion,
salary and salary progress, and research funding
are based on an academic’s publication record,
itself an objectification of an individual’s »productivity«.
The stability of publication practices can therefore
be understood as arising from the highly interconnected
nature of practices (and activity systems) in the
academy, and the dialectical nature of any communities
of practice, which reproduces itself in (nearly)
identical ways (stasis) as much as it produces itself
in new forms. This phenomenon can be in part understood
in terms of an academic’s need to contribute
to the community of practice to be recognized for »service« during
tenure, promotion, and salary decision-making processes.
Maja
Malik/Siegfried Weischenberg
Journalismus und Wissenschaft:
Gemeinsame Sinnhorizonte trotz funktionaler Autonomie?
Journalismus und Wissenschaft sind verschiedene Funktionssysteme,
die eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen. Beide
generieren Informationsangebote als Fremdbeobachtung,
stützen sich in organisierten Handlungskontexten
auf professionelle Methoden und orientieren sich
vermeintlich an denselben Maßstäben (›Wahrheit‹, ›Objektivität‹).
Am Beispiel ihrer Schnittstelle Wissenschaftsjournalismus
wird jedoch deutlich, dass es sich dabei nur scheinbar
um gemeinsame Sinnhorizonte handelt. Entscheidend
sind die funktionalen Differenzen, welche sich anhand
von ›Wahrheit‹ und ›Objektivität‹ sowie
den Temporalstrukturen und den Themenrelevanzen beschreiben
lassen. Im Fall des Wissenschaftsjournalismus führt
die Unterstellung gleicher Beobachtungskriterien
regelmäßig zu enttäuschten Erwartungen.
Und das ist auch gut so. Denn nur durch funktionale
Autonomie bleibt die jeweils spezifische Leistungsfähigkeit
beider Systeme erhalten.
Journalism and science are two distinct and autonomous
systems with a range of similarities: both offer
information generated by means of external observation;
both draw on organized operational contexts and professional
practices and techniques, and both seemingly abide
by the same rules (i.e. »truth« and »objectivity«).
However, by looking at the field of scientific journalism – the
area where both meet – it becomes evident that
the apparent commonality of their purposes and goals
is a mere ostensible one. In fact, crucial differences
can be observed regard-ing their operational modes;
particularly concerning the concepts of »truth« and »objectivity« as
well as their temporal structures and thematic preferences.
Consequently, if we assume that science journalism
abides by the same principles, we will be disappointed.
This, however, is good, because only by retaining
their functional autonomy both systems can each maintain
their specific efficiency.
Elena Esposito
Die Darstellung der Wahrheit und ihre Probleme
Die moderne Wissenschaft zeigt ein Ungleichgewicht
zwischen der Produktion von Wahrheiten, welche von
den Theorien und Methoden des Systems streng geregelt
wird, und der Darstellung dieser Wahrheiten, welche
praktisch durch Wissenschaft unkontrolliert bleibt
und externen Kriterien überlassen wird. Diese
Lage ist besonders überraschend in Anbetracht
der grundlegenden Rolle der Verbreitung der wissenschaftlichen
Wahrheit durch Publikation gerade für die moderne,
an die ständigen Produktion neues Wissens gebundene
Wissenschaft. Für die Darstellung gelten Kriterien
wie Reputation oder die Bedürfnisse formeller
Organisationen, die nur dann wirksam funktionieren
können, wenn sie unabhängig von den Kriterien
der Wahrheit sind. In dieser Hinsicht scheint die
aktuelle Soziologie nicht so sehr unter fehlender
Koordination mit den Massenmedien oder den formellen
Organisationen zu leiden, sondern eher unter dem
Fehlen einer ausreichend scharfen und eindeutigen
Trennung, um den Kriterien beider Systeme Geltung
zu verschaffen.
Modern science shows a lack of balance between the
production of truths, which is strictly ruled by
theories and methods inside the system, and the presentation
of these truths, which is left practically without
control by science but is entrusted to external criteria.
This condition is particularly surprising considering
the fundamental importance of the spread of truth
via publication, especially for modern science which
is bound to the constant production of new knowledge.
In the presentation of new knowledge, criteria like
reputation or the requirements of organisations count,
which must be independent from the criteria of truth
in order to work effectively. In this view the current
situation of sociology seems to be characterized
not so much by a lack of coordination with the mass
media or formal organizations, but rather by a lack
of a sufficiently sharp and univocal separation to
enable the criteria of each system to work efficiently.
Giancarlo Corsi
Medienkonflikt in der modernen Wissenschaft?
Beobachtet man die Selektionsverfahren von wissenschaftlichen
Zeitschriften und Verlagen, gewinnt man den Eindruck
einer Diktatur der Massenmedien (hier vor allem der
Publikationen) über die eigentliche wissenschaftliche
Funktion, neues Wissen herzustellen. Das ist durch
das bekannte Syndrom »publish or perish« bekannt
und wird oft als riskante Alternative gesehen: entweder
Karriere durch Standardforschung oder Grenzforschung
mit unsicheren Perspektiven. Heutzutage hängen
tatsächlich die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien
von den Verbreitungsmedien ab. Aber das Problem scheint
eher das Verhältnis von Evolution der Wissenschaft
und Planung der organisatorischen Variablen (Reputation,
Finanzierung, Projekte, akademische Spaltungen usw.)
zu betreffen, die die moderne Wissenschaft ermöglichen.
Während Evolution nicht kontrolliert werden
kann, sind diese Variablen die einzigen, die entscheidbar
sind und transparent gemacht werden können.
If you observe how scientific journals and publishers
select what can be printed, you get the impression
these is a dictatorship of mass media over the proper
function of science, i.e. the production of new knowledge.
This is known as the syndrome »publish or perish«.
It is often taken for granted that there is a risky
alternative: career through standard research or
border research with uncertain prospects. There is
no doubt that today symbolically generalized media
depend on diffusion media such as the print media,
but the problem seems to concern rather the relationship
between the evolution of science and the planning
of organizational variables, such as reputation,
financing, projects, academical divisions etc., which
make modern science possible. While evolution cannot
be controlled, those variables are the only ones
which can be decided and somehow made transparent.
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