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Hefte
SozSys 7 (2001), H.2
Zusammenfassungen

 

Deutschsprachige Zusammenfassungen


Jean Clam:
Probleme der Kopplung von Nur-Operationen. Kopplung, Verwerfung, Verdünung

Zusammenfassung: Der Artikel untersucht das Konzept der strukturellen Kopplung aus einer doppelten Perspektive: zum einen aus einer philosophischen Sicht, in der das Konzept sich einem postontologischen Denkrahmen einfügt, der durch ein operativistisches beziehungsweise kognitivistisches Verständnis des Seins als Folge der Operation von Unterscheidungen, die in ihren eigenen Raum der Unterscheidung wiedereintreten und Formen der Koaleszenz bilden, die man Systeme nennen kann, gekennzeichnet ist; und zum anderen aus einer systemischen Sicht, die auf die interne Konsistenz des Konzepts der strukturellen Kopplung in Begriffen einer radikalisierten Version der Theorie Luhmanns zielt. Beide Sichtweisen verweisen auf ein Kontinuum von Unterscheidungsoperationen, die in einer Weltzeit stattfinden, in der zu einem gegebenen Zeitpunkt alle Operationen gleichzeitig stattfinden. Offenbar gibt es kein überzeugendes Kriterium, das es erlauben würde, zwischen der Kopplung der Systeme und den Systemen selbst zu unterscheiden.


Elena Esposito:
Strukturelle Kopplung mit unsichtbaren Maschinen

ZUSAMMENFASSUNG: Können wir uns Computer tatsächlich als eine Alternative zur strukturellen Kopplung zwischen Bewußtsein und Kommunikation vorstellen? Dies würde bedeuten, daß Kommunikation durch das, was Niklas Luhmann "unsichtbare Maschinen" nennt, irritiert werden könnte, und würde die Notwendigkeit einer Revision grundlegender Konzepte der Theorie nach sich ziehen, wie etwa der Autopoiesis, der doppelten Kontingenz und nicht zuletzt der Kommunikation. Der Artikel untersucht diese Fragen und schlägt vor, Interaktion mit Computern als eine Form der Selbstirritation der Gesellschaft unter Bedingungen hoher Komplexität zu verstehen. Dies hätte die Konsequenz, von einer neuen Form der Intransparenz der Gesellschaft insgesamt sprechen zu können.


Giancarlo Corsi:
"Geräuschlos und unbemerkt": Zur Paradoxie struktureller Kopplung

Zusammenfassung: Strukturelle Kopplungen zwischen sozialen Systemen weisen eine interessante doppelgesichtige Form auf. Einerseits sind sie Vorbedingung für die Existenz jeder Art von System: sie müssen vorausgesetzt werden und sind nicht für die gekoppelten Systeme nicht zur Disposition. Deswegen sagt Luhmann, daß strukturellen Kopplungen "geräuschlos und unbemerkt" arbeiten. Andererseits sind alle bekannten Formen struktureller Kopplungen zwischen sozialen Systemen in der modernen Gesellschaft das Ergebnis von Entscheidungsprozessen oder sogar von Entscheidungsprogrammen. Diese doppelgesichtige Form macht die strukturellen Kopplungen zu Quellen von Irritation, da sie nicht transparent und nicht vorhersehbar sind, sondern als Entscheidungsprämissen auftreten (Ziele, Risiken, Planung usw.). Der Artikel zeigt an den beiden Beispielen der Kopplung zwischen Recht und Politik und zwischen psychischen und sozialen Systemen, wie diese Paradoxie arbeitet. Es wird die These verfolgt, daß die gekoppelten Systeme nur dank dieser Ambivalenz evoluieren und ihre historisch determinierten Strukturen "konstruieren" können.


Tania Lieckweg:
Strukturelle Kopplung von Funktionssystemen "über" Organisation

Zusammenfassung: Der Text versucht, die bei Luhmann häufiger zu findende Formulierung "strukturelle Kopplung über Organisation" weiter zu entwickeln. Damit soll gezeigt werden, dass es sich bei der Formulierung um eine Zusammenfassung von drei möglichen Bedeutungen von Organisation im Zusammenhang mit strukturellen Kopplungen von Funktionssystemen handelt, die sich bei näherem Hinsehen wie folgt unterscheiden lassen: (1) Organisation als Voraussetzung für strukturelle Kopplung: Organisationen stellen ganz allgemein mit ihren Strukturen die Voraussetzungen für die strukturelle Kopplung von Funktionssystemen bereit, dies gilt für nahezu alle Organisationen; (2) Organisation als strukturelle Kopplung: Organisationen sind selbst strukturelle Kopplungen von Funktionssystemen, so z.B. Universitäten in der Kopplung von Erziehung und Wissenschaft; (3) Organisation als Vermittler struktureller Kopplung: spezifische Organisationen stellen ihre Kommunikation zur Vermittlung und Realisierung von bestimmten strukturellen Kopplungen zur Verfügung, so z.B. Finanzämter in der Vermittlung der strukturellen Kopplung von Politik und Wirtschaft durch Steuern. Von diesen drei möglichen Bedeutungen von Organisationen im Zusammenhang mit strukturellen Kopplungen muß deutlich unterschieden werden, dass Organisationen als Multireferenten ständig zwischen den verschiedenen Logiken der Funktionssysteme vermitteln. Abschließend soll die Annahme zur Diskussion gestellt werden, dass unter Globalisierungsbedingungen neue strukturelle Kopplungen von Funktionssystemen relevant werden, nämlich die "über" Organisationen. Die Ausführungen beziehen sich dabei auf die Globalisierungsentwicklungen in Recht und Wirtschaft.


Michael Hutter:
Structural Coupling between Social Systems: Art and the Economy as Mutual Sources of Growth

ZUSAMMENFASSUNG: Der Aufsatz erkundet den genauen Verlauf der strukturellen Kopplung zwischen zwei Funktionssystemen. Der ausgewählte Fall ist das Verhältnis zwischen der Wirtschaft und der Kunst. Historische Beispiele werden vorgestellt und interpretiert. Die Beispiele beziehen sich sowohl auf System-zu-System-Kopplungen als auch auf System-zu-Umwelt-Kopplungen. "Bahnen der Irritation" zwischen den beiden Systemen sind tatsächlich beobachtbar. Stile, in denen räumliche Formen arrangiert und Erzählformen komponiert werden, haben die wirtschaftliche Reproduktion irritiert; wirtschaftliche Themen haben die Reproduktion der Künste irritiert. In beiden Fällen hat die stabilisierte Irritation zu neuen Möglichkeiten weiterer Kommunikation geführt. Der Grad der Komplexität und Intensität der strukturellen Kopplungen wird deutlich erhöht, wenn Organisationen intervenieren und die Wirkung der Kopplungen beeinflussen.


Dirk Baecker:
Kapital als strukturelle Kopplung

ZUSAMMENFASSUNG: Der Begriff des Kapitals beschreibt ein Kalkül wirtschaftlicher und unternehmerischer Beobachtungen und Bemessungen von Handlungen im sachlich, zeitlich und sozial bestimmten Blick auf andere Handlungen. Der Beitrag nutzt das Konzept der strukturellen Kopplung, um diese Eigenschaft des Kapitals zu beschreiben, denn die Beobachtung und Bemessung von Handlungen findet typischerweise sowohl im Hinblick auf die Selbstreferenz wie die Fremdreferenz der Handlung statt, übergreift also die System/Umwelt-Differenz. Der Beitrag diskutiert zunächst den aus der allgemeinen Systemtheorie stammenden Begriff der strukturellen Kopplung und orientiert sich dann an verschiedenen soziologischen Versionen, die Niklas Luhmann für diesen Begriff entwickelt hat. Das Kapital erscheint als eine strukturelle Kopplung von Wirtschaft und Unternehmen, die beide und beide in ihrer Systemdifferenz an die gesellschaftliche, psychische und natürliche Umwelt von Wirtschaft und Unternehmen koppelt.


Jac Christis:
Luhmann's theory of knowledge: beyond realism and constructivism?

Zusammenfassung: In diesem Aufsatz wird der grammatikalische Realismus Wittgensteins verwendet für eine Klärung der Diskussion, die Luhmann mit metaphysischen Realisten und skeptischen Idealisten führt. Luhmann betont (gegen die metaphysischen Realisten) mit Recht, daß die Bedeutung von Begriffen nicht durch ihre Referenten bestimmt wird. Gleichzeitig aber hält er (gegen die skeptischen Idealisten) mit Recht daran fest, daß diese 'Autonomie der Bedeutung' eine notwendige Bedingung ist, sowohl für externe Referenz als auch für die Anwendung von Wahrheitsprädikaten auf empirische Aussagen. Luhmann teilt die in diese Position enthaltene Trennung von Bedeutung, Referenz und Wahrheit mit den grammatikalischen Realismus. Wenn er ausspricht, daß wir keinen direkten Zugang zur Außenwelt besitzen und diese deshalb unbekannt bleibt, überschreitet er jedoch Sinngrenzen. Der Aufsatz zeigt, daß diese Überschreitung unnötig ist. Was bleibt, ist eine Position die sowohl metaphysisch-realistische Grundlagen als auch konstruktivistische Exzessen vermeidet.


Peter Fuchs:
Von Jaunern und Vaganten - Das Inklusions/ Exklusions-Schema der A-Sozialität unter frühneuzeitlichen Bedingungen und im Dritten Reich

Zusammenfassung: Das Schema Inklusion/Exklusion bezeichnet einen bedeutenden Aspekt der Kommunikationstheorie, insbesondere die Konstruktion der sogenannten sozialen Adressse, einer sozialen Struktur, die (wie etwa Rollen oder Personen) definiert, in welcher Form oder inwieweit bewußte Systeme als Umwelt sozialer Systeme sozial repräsentiert werden. Die Hauptthese ist, daß die Differenz Inklusion/Exklusion als ein historisches Schema sich unter dem Druck der Evolution verändert, insbesondere im Kontext des Übergangs von der stratifizierten zur funktional differenzierten Ordnung der (europäischen) Gesellschaft. Diese Idee wird geprüft anhand von Mordbrennerakten bzw. Jauner- und Diebslisten vom 16. bis 18. Jahrhundert. Das zentrale Ergebnis ist, daß die sozialen Adressen der Kriminellen, der Gauner etc. einem Prozeß der Abstraktion und De-Individualisierung unterzogen wurden, von dem sich vermuten läßt, daß er ein preadaptive advance der modernen Konstruktion sozialer Adressen ist. Diese Konzeption wird illustriert durch eine kurze Prüfung der Konstruktion von Asozialität oder asozialen Personen im Dritten Reich.

 

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