Zusammenfassungen
David Borger:
Der Sinn des Rechnungswesens: Finanzinstrumente und die Reproduktion
von Unternehmensgrenzen
Zusammenfassung: Dieser Beitrag untersucht die Struktur von Begründungen
in der britischen Normendiskussion zur Rechnungslegung von Finanzinstrumenten
mit Konzepten der Luhmannschen Systemtheorie. Es zeigt sich, daß
unterschiedliche Unternehmensmodelle, die bestimmten Sinnfestlegungen
für das Rechnungswesen entsprechen, die Debatte bestimmen. Am Beispiel
der britischen Rechnungslegung für langfristige Schulden wird genauer
dargestellt, wie durch eine regulative Initiative eingeführte Sinnvariationen
auf den Widerstand von gesellschaftlich und berufsständisch etablierten
Sinnfestlegungen stossen. Die dargestellte Untersuchung führt zu
der Schlußfolgerung, daß der Erfolg der noch andauernden Initiative
zur Rechnungslegung für Finanzinstrumente weniger von "wirtschaftlichen
Konsequenzen" und politischer Einflußnahme, als vielmehr von
der evolutionären Stabilisierung einer Sinnvariation und damit von
einer Metamorphose der gesellschaftlich konstruierten Unternehmensgrenzen
abhängen wird.
Zusammenfassung: Die Selbstausgrenzung der Wirtschaft ist entscheidend
abhängig von der internen Installation des Paradoxes der Knappheit.
Das Verständnis der Knappheit ist, das ist die erste These dieses
Beitrags, selbst Ergebnis einer historischen Entwicklung, in der
Knappheit ihrerseits durch die Unterscheidung vom Überfluß konstituiert
wurde. Nachdem Knappheit im Wirtschaftssystem verankert geworden
war, tauchte der Überfluß an der Außenseite des Systems in Form
der "flüssigen" Ressourcen auf. Im Verlauf der Geschichte
wurde die Eigenschaft, Ressource, also Quelle wirtschaftlichen "Mehrwerts"
zu sein, unterschiedlich konstituierten selbstre-produzierenden
Systemen in der Umwelt der Wirtschaft zugeschrieben. Zukünftig,
das ist die zweite These des Beitrags, werden andere Kommunikationssysteme
den größten Teil der knappen Ressourcen ausmachen. Die allen Kommunikationssyste-men
gemeinsame Ereignisstruktur wird zu neuen Selbstausgrenzungsformen
der Wirtschaft führen.
Achim Brosziewski:
Computer und die Transparenz des Unternehmens
Zusammenfassung: Der folgende Beitrag geht von der Annahme Niklas
Luhmanns aus, der zufolge eines der Hauptprobleme im Management
komplexer Organisationen in der Transformation von Unsicherheit
durch Entscheidungen liegt. Vermittelt über eine Analyse der Form
des Datums und ihrer kommunikativen Funktion kann man den vermehrten
Gebrauch von Aufzeichnungen, Datenverarbeitungs- und Datenverbreitungsprogrammen
auf dieses Grundproblem beziehen. Daten stellen kommunikative Unbestreitbarkeiten
und in diesem Sinne Sicherheitsmomente in sachlich komplexen Fragen
dar. Die Kontingenz der Sachverhalte - und mit ihr der Entscheidungsbedarf
- verlagert sich bei datengestützter Kommunikation in die zeitliche
Dimension, in die Frage von Konstanz und Variabilität der Daten
und das Problem, Soll-Werte auszuwählen, anhand derer Handlungsmöglichkeiten
und Entscheidungsnotwendigkeiten zu bestimmen sind. Im Hinblick
auf die Kommunikation in Unternehmen und deren Strukturen wird die
These entwickelt, daß die Umstellung vom traditionellen Verarbeitungs-
und Verbreitungsmedium von Daten, dem Papier, auf elektromagnetische
Technologien einen Wandel der Beschreibung von Aufgaben und Funktionen
mit sich bringt und so zur Emergenz einer unternehmensinternen Aufgabenöffentlichkeit
beiträgt.
Angelika Menne-Haritz:
Schließung und Öffnung der Verwaltungsentscheidung: Funktionen schriftlicher
Aufzeichnungen im Vorgang
Zusammenfassung: Entscheidungsfindung in der Verwaltung kann verschiedene
Formen annehmen, je nachdem wie Schriftlichkeit und Mündlichkeit
eingesetzt werden. Der Vorgang ist die dritte Form zwischen monokratischer
Hierarchie mit Weisungen und Berichten und kollegialer Debatte.
Er nutzt die Differenz, die beim Einsatz schriftlicher Kommunikation
zwischen der verbalen Mitteilung und dem materiellen Kontext entsteht.
Er stützt sich allein auf Wahrnehmung, um interne formelle Kommunikation
zu vermeiden. Der dabei entstehende, immer wieder anders geformte
Entscheidungsprozeß erstellt in sich fortschreitend verstärkender
Selektion die später nach außen mitgeteilte Information zur Lösung
der ursprünglichen offenen Frage. Er hat die Form einer Episode
im Interaktionssystem Geschäftsgang, das die erforderlichen Erwartungen
über die Beschreibung und Zuordnung von Zuständigkeiten herstellt.
Fritz B. Simon:
Organisationen und Familien als soziale Systeme unterschiedlichen
Typs
Zusammenfassung: Familien und Organisationen, insbesondere Unternehmen,
werden im Blick auf die losere vs. festere Kopplung mit organischen
und psychischen Systemen als ihren Umwelten und die losere vs. festere
Kopplung ihrer kommunikativen Elemente einander gegenübergestellt.
Es werden Unterschiede der Inklusion und Exlusion von Personen vs.
Kommunikationen, sowie Auswirkungen von oraler vs. literaler Kommunikation
auf das Gedächtnis beider Systemtypen analysiert. Schließlich werden
die kommunikativen Auswirkungen unterschiedlicher Reziprozitätserwartungen
und Bilanzierungsmethoden für individuelle Leistungen diskutiert.
Den Schluß bilden Überlegungen zur Besonderheit von Familienunternehmen,
die sich aus der strukturellen Kopplung von Familie und Unternehmen
ergeben und charaktistische psychische Folgen haben können.
Rudolf Stichweh:
Globalisierung von Wirtschaft und Wissenschaft: Produktion und Transfer
wissenschaftlichen Wissens in zwei Funktionssystemen der modernen
Gesellschaft
Zusammenfassung: Der Aufsatz vergleicht die Globalisierung wissenschaftlichen
Wissens im akademischen Kernsektor des Wissenschaftssystems mit
Prozessen der Globalisierung in Wirtschaftsorganisationen, soweit
diese letzteren mit Forschung und Entwicklung zu tun haben und insofern
mit einem Teil ihres Tätigkeitsspektrums im Wissenschaftssystem
verankert sind. Der auffälligste Befund ist der der Divergenz der
Globalisierungsmuster. Im akademischen Kernsektor sind die Organisationen
(Universitäten, Forschungsinstitute, Akademien) primär national
orientiert. Ungeachtet dessen vollzieht sich eine problemlose Globalisierung
der Wissenschaft, die sich auf andere Formen der Strukturbildung
stützt: Disziplinäre Differenzierung, globale Kommunikationsnetzwerke,
Muster organisationsunabhängiger Kooperation. In der Wirtschaft
ist demgegenüber eine spezifische Form der Organisation, das multinationale
Unternehmen, der wichtigste Träger der Globalisierung. Globalisierung
von Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft bleibt daher an
die Imperative multinationaler Unternehmen gebunden. Transfer von
Wissen über Organisationsgrenzen hinweg scheint dann eher schwierig,
und gerade globale Unternehmen konzentrieren Forschung und Entwicklung
häufig noch in ihrem Herkunftsland, so daß in diesem Fall die wissenschaftliche
Komponente eher als ein retardierendes Moment in der Globalisierung
von Wirtschaftsorganisationen zu wirken scheint. Abschließend diskutiert
der Aufsatz die Beziehungen und Austauschmuster zwischen diesen
beiden großen Sektoren wissenschaftlicher Forschung und stellt die
Frage, ob die Mehrzahl der von Funktionssystem zu Funktionssystem
differierenden Erwartungen an die Beiträge wissenschaftlicher Forschung
die kognitive Autonomie der Wissenschaft verletzt.
Veronika Tacke:
Wirtschaftsorganisationen als Reflexionsproblem. Zum Verhältnis
von Neuem Institutionalismus und Systemtheorie
Zusammenfassung: Entlang der Frage einer angemessenen Beschreibung
von Wirtschaftsorganisationen diskutiert der Artikel institutionenökonomische
(Williamsion) und neo-institutionalistische (March/Olsen) Theoriebeiträge
zur Organisationsforschung. Während beide Ansätze in ihrer Beschreibung
die Existenz von Wirtschaftsorganisationen selbstverständlich unterstellen,
kann keine der Theorien diese in ihren ökonomischen und organisatorischen
Aspekten begrifflich erfassen. Im Rahmen der Systemtheorie und mit
Bezug auf die Unterscheidung von Systemreferenzen (Funktion, Leistung,
Reflexion) wird vorgeschlagen, beide Beschreibungen als Reflexionstheorien
aufzufassen. Die komplementären theoriebezogenen Begrenzungen institutionalistischer
Beschreibungen können so auf ebenenspezifische (ökonomische bzw.
organisatorische) Bedingungen der systemischen Selbstsimplifikation
zurückgeführt werden. Beide Beschreibungen reflektieren dabei mit
dem Konzept der Institution die selbstreferentielle Einbettung sozialer
Systeme in die Strukturen funktionaler Differenzierung. Auf diese
Weise wird erkennbar, daß die Wirtschaftsorganisationen - diese
"institutionelle Mischung" aus Ökonomie und Organisation
- als eine Selbstsimplifikation von Organisationen verstanden werden
muß. Dieser Form der Reflexion folgt der Neo-Institutionalismus
- im Unterschied zur Institutionenökonomie und auch zur Systemtheorie.
Die grundlegende Differenz zwischen Institutionalismus und Systemtheorie
wird abschließend in ihrer Bedeutung für die Forschung beleuchtet.
Gunther Teubner:
Eigensinnige Produktionsregimes: Zur Ko-evolution von Wirtschaft
und Recht in den varieties of capitalism
Zusammenfassung: Der Beitrag nimmt die unterschiedliche Rezeption
von Just-in-time Verträgen in den USA und Deutschland zum Anlaß,
um der Frage nachzugehen, warum entgegen allen Erwartungen die Globalisierung
der Märkte nicht zu einer Konvergenz ökonomischer und rechtlicher
Institutionen geführt hat. Er setzt sich insbesonderen mit zwei
Theorien auseinander, welche die institutional varieties of capitalism
systematisch zu erklären suchen. Die Theorie der Produktionsregimes
führt den Eigensinn der Institutionen darauf zurück, daß regionale
Produktionsregimes Systeme von Einzelinstitutionen bilden, deren
Elemente sich wechselseitig stabilisieren. Die Theorie institutioneller
Ko-Selektion erklärt die Abweichung von der Effizienzauzslese damit,
daß ihre Umweltanpassung nicht nur von Markteffizienz allein, sondern
auch von politischen, technologischen und kulturellen Selektionskriterien
diktiert wird. Demgegenüber führt der Beitrag den Eigensinn der
Produktionsregimes nicht auf die Interdependenz von wirtschaftsinternen
Institutionen zurück, sondern auf die ultrazyklische Verknüpfung
von Strukturen der Wirtschaft, des Rechts und der Politik. Ihre
Entwicklung läßt sich als Ko-evolution von autonomen Entwicklungspfaden
in unterschiedlichen Teilsystemen verstehen. Varieties auf capitalism
sind dann Ergebnis unterschiedlicher Konfigurationen der Koevolution,
in denen teilsystemische Evolutionsmechanismen wechselseitig einander
beeinflussen.
Gerd Walger/Franz Schencking:
Dienstleistungen und ihre Beschreibung
Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob
Dienstleistungen nur als Produkte denkbar sind oder aber eine eigene
Qualität darstellen. Sie ist im Kern die Frage danach, ob es zwischen
der Beschreibung einer Dienstleistung und eines Sachguts einen Unterschied
im Hinblick auf ihre Erstellung und die Beziehung zum Kunden gibt.
Dazu wird zum einen die betriebswirtschaftliche und zum anderen
die systemtheoretische Beschreibung von Dienstleistungen untersucht.
Dabei wird herausgearbeitet, mit welchen Schwierigkeiten die betriebswirtschaftliche
Beschreibung von Dienstleistungen verbunden ist, die Dienstleistungen
ausgehend von der Produktionstheorie zu beschreibt sucht. Die Untersuchung
der systemtheoretischen Beschreibung geht aus von der Differenz
zwischen der Konstitution des Dienstleistungsunternehmens als Kommunikationssystem,
das seine Produktion nicht allein bestimmen kann, und seiner Selbstbeschreibung
als Handlungs- und Input-Output-System.
Rudolf Wimmer:
Wider den Veränderungsoptimismus. Zu den Möglichkeiten und Grenzen
einer radikalen Transformation von Organisationen
Zusammenfassung: In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen
mit großen Aufwand versucht, ihre gewachsenen Organisationsstrukturen
radikal umzugestalten. Die Zerschlagung in unternehmerisch eigenverantwortliche
Geschäftsfelder, das Reengineering der Geschäftsprozesse, die Ausgliederung
von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Aktivitäten, die Fusion mit
zugekauften Unternehmen rund um den Erdball, der Aufbau von Partnerschaften
und Unternehmensnetzwerken, all dies sind Maßnahmen, die stets mit
einer weitreichenden Transformation der bestehenden Organisationsverhältnisse
verbunden sind, Empirische Studien zeigen, daß der Erfolgsoptimismus,
mit dem solche Veränderungsprojekte regelmäßig gestartet werden,
in den wenigsten Fällen berechtigt ist. Es wird die hohe Komplexität,
die mit jeder Transformation von Organisationen unvermeidlich verknüpft
ist, in den allermeisten Fällen weit unterschätzt. Eine systemtheoretisch
inspirierte Beschreibung der Möglichkeiten und Grenzen solcher Verhinderungsanstrengungen
kann Hinweise dafür liefern, welche zentralen Herausforderungen
in solchen Prozessen wie bewältigt werden können.
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