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SozSys 1 (1995), H.2
Zusammenfassungen

 

Zusammenfassungen

Milan Zeleny:
Ecosocieties: Societal Aspects of Biological Self-Production
(Vollständiger Artikel)

Es wurde mit Erfolg behauptet, daß alle biologischen (lebenden) Systeme autopoietische Systeme sind. Mit geringerem Erfolg wurde die umgekehrte These vertreten, daß alle autopoietischen Systeme biologische (lebende) Systeme seien. Kürzliche Fortschritte auf den Gebieten des "Artificial Life”, der synthetischen Biologie und der osmotischen Wachstumsprozesse haben aber gezeigt, daß zumindest einige autopoietische Systeme nichtbiologisch sind: d.h. autonom und selbstproduzierend in einem physikalischen, anorganischen Milieu. Das Phänomen Leben ist einer spezifischen Organisation der Materie zuzurechnen, nicht einer besonderen (e.g. organischen) Materie.
Weiterhin existiert eine ausführliche Diskussion darüber, ob soziale Systeme (diejenigen, die spontan geordnet und nicht vom Menschen entworfen sind) autopoietische Systeme sind.
Dieser Essay behauptet, daß die Frage der Autopoiesis spontaner sozialer Systeme irrelevant ist: Nicht nur, daß spontane soziale Systeme autopoietisch sein müssen, sondern die Umkehrung dieser Relation gilt noch bestimmter: Alle autopoietischen und also alle biologischen (lebenden) Systeme müssen soziale Systeme sein.
Diese These impliziert nicht, daß alle sozialen Systeme autopoietisch sind; es gibt viele vom Menschen entworfene und gemachte heteropoietische "Wunder” des sozialen "engineering”, die weder autonom noch selbstproduzierend oder selbsterhaltend sind. Aber alle autopoietischen Systeme, die organischen und die anorganischen, müssen notwendigerweise soziale sein (Gesellschaften, Populationen, Kommunitäten).
Es ist nicht wichtig anzumerken, daß einige (d.h. spontane) Sozialsysteme autopoietisch sind; entscheidend ist, daß alle lebenden Systeme (und alle ihre lebenden Subsysteme) Gesellschaften sind und als solche untersucht werden müssen. 

Peter Fuchs / Dietrich Schneider:
Das Hauptmann-von-Köpenik-Syndrom. Überlegungen zur Zukunft funktionaler Differenzierung

Die moderne Gesellschaft nutzt eine Form der Differenzierung, die als funktionale Differenzierung beschrieben werden kann. Dieser Differenzierungstyp erzeugt in der Weltgesellschaft autonome, selbstreferentielle Funktionssysteme (Recht, Wissenschaft, Kunst, Religion, Erziehung etc.) Die Frage ist, ob diese Form sich unter der Bedingung selbstgeschaffener, selbstinduzierter Probleme möglicherweise verändert. Die zentrale Argumentation läuft darauf hinaus, daß funktionale Differenzierung (unter dem Druck selbstinduzierter Probleme) Systeme aus "zweiter Hand" entwickeln kann, die dieselbe Form realisieren wie die Systeme "erster Hand", aber mit sehr verschiedenen Konsequenzen. Dieser neue Systemtyp emergiert als Reaktion auf jene Probleme. Das System sozialer Arbeit wird diskutiert als ein Beispiel für den Versuch einer gesellschaftsweiten Lösung. 

Elena Esposito:
Interaktion, Interaktivität und Personalisierung der Massenmedien

Der Beitrag diskutiert die verbreitete Vorstellung, daß die neuen Mittel der Telematik zu einer Form der Personalisierung der Massenmedien führen werden. Der Schlüssel dieser Entwicklung wäre die vom Computer ermöglichte Interaktivität, die den Benutzer dazu bringen würde, eine aktive Rolle zu übernehmen. Der Artikel wiederspricht dieser Behauptung durch eine Analyse erstens der auf der Basis von Fernkommunikation (Druckpresse) gegebenen Personalisierungsmöglichkeiten und zweitens der grundlegenden Funktion der Generalisierung der Kommunikation durch Massenmedien. Unter diesen Gesichtspunkten würde eine Kommunikation, die für jeden Benutzer eine spezifisch verschiedene Kommunikation ist, zu einer neuen Form von Isolierung statt zu Partizipation führen. Die Neuartigkeit der Telematik sollte demgegenüber eher in den Formen gesehen werden, die es erlauben, auf individuelle Weise eine unpersönliche Kommunikation zu gestalten. 

Nicolas Hayoz:
Dédifférenciations régionales et différences fonctionelles universelles. Aspects de l'instrumentalisation politique de domaines fonctionnels au sein de la "société organisée" du socialisme soviétique

Die Gleichsetzung von Staaten oder Nationen mit Gesellschaften führt zu einer "Regionalisierung” des Schemas der funktionalen Differenzierung. Eine solche Annahme verwechselt die kommunikative und universelle Realität von Funktionssystemen mit länderspezifischen Gegebenheiten. Wenn man die Logik der funktionalen Differenzierung im Sinne Niklas Luhmanns ernst nimmt, verhält es sich gerade umgekehrt. Mehr oder weniger "modernisierte” Länder sind funktional nicht mehr oder weniger "differenziert”, sondern setzen funktionale Differenzierung und damit die moderne Gesellschaft voraus. - Es ist daher nicht richtig anzunehmen, in der ehemaligen UdSSR hätte die sozialistische Modernisierung die funktionale Differenzierung "ersetzt”. Gerade weil es moderne Wissenschaft, Erziehung, Kunst, Wirtschaft usw. gibt, kann ein totalitäres Regime versuchen, deren Organisationen und Professionen "politisch” zu beeinflussen: Entdifferenzierung als politisch organisierte Deprofessionalisierung. Die "andere Moderne” des sowjetischen Sozialismus ist ein "Antikapitalismus”, der Organisation einsetzen musste, um sich als "sozialistische Gesellschaft” ausflaggen zu können. Gegen die künstlichen Differenzen einer solchen Formation haben die emigrierte und später die dissidente Intelligenz, schliesslich aber auch grösser werdende Teile der nicht-dissidenten Intelligentsia die Normalität einer autonomen, von der Politik nicht bevormundeten professionellen Tätigkeit und von Öffentlichkeit eingefordert. 

Helmut Willke:
Transformation der Demokratie als Steuerungsmodell hochkomplexer Gesellschaften

Der Text will die Annahme prüfen, daß nach dem Verblassen der Ost-West-Konfrontation Demokratie als Steuerungsmodell komplexer Gesellschaften ihre unangreifbare Position verlorgen hat und nun vor allem einer Überprüfung ihrer Steuerungskapazität ausgesetzt ist. Ausgelöst ist diese kritische Befragung der Demokratie durch eine Reihe von Steuerungsproblemen, mit denen sich moderne Gesellschaften durch veränderte globale Kontexte konfrontiert sehen:
1. Die Herausforderung der Politik bezeichnet eine Verschiebung in der Machtbalance gesellschaftlicher Teilsysteme zulasten der Politik mit der Folge, daß politische Strategien die angezielten nationalen und internationalen Probleme nicht erreichen.
2. Die Herausforderung des Marktes wird zum Problem von Demokratie, weil die Marktlogik global operiert, während politische Entscheidungen nur territorial begrenzte Reichweite und Legitimität beanspruchen können.
3. Die Herausforderung der Hierarchie manifestiert sich in der Suboptimalität einer hierarchischen Architektur lokaler und globaler Problemlösungsmodelle. Demokratie als Form gerät in die Linie der Kritik, weil sie sowohl in ihren Innen- wie in ihren Außenbeziehungen eng mit Hierarchie verzahnt ist.
Die Argumentation des Aufsatzes schließt auch die mit den Steuerungsproblemen verbundenen Risiken ein und deutet am Ende eine mögliche Richtung der Entwicklung von Demokratie als Koordinationsform hochkomplexer Systeme an. 

Wil Martens:
Die Selbigkeit des Differenten. Über die Erzeugung und Beschreibung sozialer Einheiten

Die soziologische Theorie Luhmanns kann man interpretieren als einen Versuch, für den Bereich des Sozialen die Fragen zu beantworten: Wie unterscheiden sich soziale Einheiten, und wie können sie als besondere Einheiten dasein'? Die Theorie formuliert eine Antwort in der Differenz, Identität und Selbstbeziehung, Schlüsselbegriffe sind. Die Ausführung des Programms geht aber von falschen Prämissen aus.Das gilt vor allem die Begriffe des Unterscheidens und der Paradoxie. Auf ihrer Grundlage bleiben die Art und die Erzeugung der Einheit sozialer Systeme, u.a. der Gesellschaft, unbegriffen. In diesem Aufsatz werden alternative Bestimmungen der Begriffe Unterschied, Einheit und Paradox vorgeschlagen. Mit ihrer Hilfe wird dann versucht, soziale Systeme als Einheiten des Unterschiedenen, die sich aus verschiedenartig orientierten Handlungen und Kommunikationen konstituieren, zu begreifen. Das ist die Basis für eine Beschreibung ausdifferenzierter Gesellschaften, in der Organisationen und Teilsysteme der Gesellschaft als Einheiten zwar orientiert sind an einer dominanten Unterscheidung, aber auch andere Unterscheidungen verwenden (können). Als Folge ihrer inneren Diversität können sie Aufmerksamkeit für verschiedene Gesellschaftsprobleme entwickeln. 

Harald Wasser:
Psychoanalyse als Theorie autopoietischer Systeme

Der Artikel vertritt die These, daß es möglich ist, die Freudsche Psychoanalyse als systemtheoretische Psychologie zu rekonstruieren. Im Vordergrund steht dabei der Versuch, psychische Systeme als codierte, in Teilsysteme differenzierte Systeme zu verstehen. Die Freudsche Unterscheidung bewußt/unbewußt ist allerdings nur dann kompatibel mit dieser Theorie der Codierung, wenn man sich von der Vorstellung trennt, psychische Systeme seien über den Operationsmodus "Bewußtsein” geschlossen. 

Talcott Parsons:
The Articulation of the Personality and the Social Action System. Freud and Max Weber

Der Essay vergleicht die Analyse sozialen Handelns, wie sie sich unter anderem bei Max Weber findet, mit der Freudschen Persönlichkeitstheorie. Im Vordergrund steht die Frage der Instabilität in Systemen und die Suche nach rationalen Mechanismen der Kontrolle von Instabilitäten. Im Fall ökonomischen/sozialen Handelns bildet offensichtlich die zweckrationale Interessenverfolgung ein solches Moment der Instabilität, das durch gesellschaftlich institutionalisierte Werte und Normen kontrolliert wird. Dem entspricht im psychischen System die Interrelation von Ich (als einem sich durch Informationen, die es der Umwelt entnimmt, beeinflussen lassenden System) und Überich als einer Kontrollinstanz auf der Basis internalisierter Normen und Werte. In beiden Systemen gibt es nun eine dritte Instanz, die sowohl erneute Quelle von Instabilitäten wie aber vielleicht auch von Innovationen ist. Als eine solche sieht Parsons das durch Wünsche bestimmte Es in der Freudianischen Analyse, dem er den Charismabegriff Max Webers als ein auf der Ebene des Sozialsystems angesiedeltes Analogon gegenüberstellt.

 

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